Deutschland

3. Etappe: Kriftel – Mainz

Gelaufen: 30,7 km (Gesamt: 76,4 km)

Heute bin ich deutlich später gestartet, als ich ursprünglich geplant hatte (Klartext: halb neun). Schuld daran war eigentlich nur der Umstand, dass gestern so warmes, sonniges Wetter war, sodass ich eine ganze Menge Wäsche gewaschen habe. Tatsächlich ist bei diesen Temperaturen auch alles rechtzeitig trocken geworden. Aber da ich die Sachen zum trocknen alle im Zimmer verteilt hatte, begann morgens erstmal das große Packen.

Alle Habseligkeiten beisammen, konnte ich mich auch auf den Weg machen. Aus Kriftel hinaus ging es zunächst über ein paar kleine Wege durch die ein oder andere generische Nachbarortschaft, die zumindest alle ein Augenmerk gemeinsam hatten: kleine, hübsche Backsteinkirchen. Die schien es hier wohl Mal im Mengenrabatt gegeben zu haben. Aber trotzdem schön anzusehen. Also verließ ich auch ein weiteren Ort, als es plötzlich eine Anhöhe hinauf ging und sich oben eine weitere Schönheit zeigte. Soweit das Auge reichte wurde Obst angebaut. Dabei fiel es vor allem auf, dass gerade Apfelbäume und Kirschbäume klein gehalten wurden (ich vermute zur einfacheren Ernte) und sie wie Weinreben in Reih und Glied wuchsen. Da alles gerade in voller Blüte stand, war es wirklich ein herrlicher Anblick.

Kirschen und Äpfel stehen in voller Blüte, während nebenan die Johannisbeeren bereits Früchte bilden.
Trotz der faszinierenden Obstplantage wird man von allen Seiten stets daran erinnert, dass man sich im Rhein-Main-Gebiet befindet. Lärm und Industrie sind allgegenwärtig.
Zum ersten Mal wird mir der richtige Weg durch den gelben Pfeil gewiesen. Beinahe hätte ich ihn ignoriert.

Weiter ging es dann an einer ehemaligen Kiesgrube vorbei, die mittlerweile zu einem Naturschutzgebiet mit abwechslungsreicher Flora und Fauna umfunktioniert wurde. Doch welche Tiere dort vor allem ins Auge springen sind die Ziegen, die dort als Landschaftsgärtner fungieren.

Vom eigens errichteten Aussichtsturm hat man einen guten Ausblick auf die Kiesgrube. Und genau genommen ist es mein erster richtiger “Ausblick” auf diesem Jakobsweg.

Die Kiesgrube gehört zur Ortschaft Weilbach, wo ich auch endlich meine erste Mahlzeit dieses Tages zu mir nehmen konnte. Eine traditionsreiche Familien-Bäckerei in siebter Generation, die sich vor allem – wie ich feststellen durfte – auf besonders gehaltvollem Süßgebäck versteht. Diabetikern kann ich nur dringen davon abraten.

Gut genährt geht es wieder aus dem Ort hinaus und schnell zieht ein kleiner Hügel meine Aufmerksamkeit auf sich. Er entpuppt sich als interessant ausgetüftelter Aussichtshügel. Die Funktionsweise ist simpel: Auf der Anhöhe stehen mehrere Sitzbänke. Setzt man sich auf diese und schaut geradeaus, wird man von diversen Metallschablonen inklusive Beschriftung darauf hingewiesen, was man in der Ferne sieht. Diverse Berge des Taunus, der Melibokus im Odenwald oder sogar der Tower am Frankfurter Flughafen seien hier nur als Beispiele genannt.

Hinter Weilbach folgte auch bald der kleine Ortsteil Bad Weilbach mit seinem angenehmen Kurpark, der vor allem aus Wald bestand. Dieser hatte zwar einige extreme Steigungen und viele Höhenmeter Abweichungen, aber in den kontinuierlich steigenden Tagestemperaturen war der Schatten eine richtige Wohltat. Besonders ins Auge gefallen war mir allerdings der Feenbaum inmitten dieses Waldstücks. Es war ein bunt geschmückter Baum, an dem Menschen schon viele bunte Steine, Perlen, Muscheln, allerlei kleinen Schmuck und sonstige kleine Schätze hinterlassen hatten als Geschenk für die Feen des Waldes. Eine süße Geste, fand ich. Ich war regelrecht geknickt, dass ich mein Gepäck so pragmatisch und knapp bemessen hatte, dass ich wirklich gar keine Kleinigkeit dabei hatte, die ich hätte entbehren können.

Eine Holztafel am Baum fordert poetisch dazu auf, sich beim Kleinen Volk zu bedanken.

Doch so sehr mich so kleinere Entdeckungen wie der Feenbaum auch freuen, habe ich heute schon früh gemerkt, dass ich ein Motivationproblem hatte. Körperlich fühlte ich mich eigentlich gut erholt und normalerweise “flutschen” die ersten zehn bis zwölf Kilometer eines Tages bei mir, ohne groß darüber nachzudenken, aber heute war es anders. Auch wenn ich bisher eigentlich gute Abwechslung hatte, wollten die Kilometer nicht an mir vorbeiziehen. Alles hat sich so ewig lang angefühlt und ich war alles andere als euphorisch. Und sobald ich den Kurpark verließ, sollte für mich meine tägliche Dosis Hölle beginnen.

Was nun vor mir lag waren Weinberge um Weinberge ohne auch nur einen Quadratzentimeter Schatten, aber dafür mit blauem Himmel und kletternden Temperaturen. Lediglich die Besitzer der Weinberge wechselten im Laufe der unzähligen Kilometer, aber die Grundbedingungen blieben die gleichen. Und vor allem habe ich nach anderthalb Stunden praller Sonne immer intensiver in meinen Körper hineingehört nach den kleinsten Anzeichen für Überhitzung oder Sonnenstich. Zumindest den Sonnenbrand hatte ich schon gewiss. Und so habe ich mich tapfer bis in die nächste Kirche nach Hochheim geschleppt, wo ich mich im kühlen Gemäuer erst wieder auf eine vernünftige Temperatur bringen musste.

Meine heutige Folter, die einfach kein Ende nehmen wollte. Der winzige Kirchturm am Horizont kam und kam nicht näher.
Das rettende Gotteshaus sah von außen recht gewöhnlich aus, aber drin offenbarte sich ein kleines Juwel. Das Innere war mit sehr viel Liebe zum Detail ausgestaltet worden und es wirkte prunkvoller als einige Kathedralen, die ich schon gesehen hatte.

Doch meine Freude mit der Hitze und der Sonne vor den Türen sollte noch nicht vorbei sein. Von Hochheim gab es einen sehr direkten, kerzengeraden Weg, der nach Mainz führte. Und ihr könnt es euch bereits denken: Schatten war Fehlanzeige. Eigentlich war ich auf den ersten Metern noch hoffnungsvoll, da der Weg wie eine Allee ausgelegt war, aber nach nur wenigen hundert Metern lichteten sich die Bäume und da hatte ich wieder den Salat. Ich habe die gesamte Strecke mantra-artig das Lied “Jede Zelle meines Körpers ist glücklich” in Endlosschleife vor mich hin gesungen, um das irgendwie durchzustehen. Mittlerweile brannten meine Fußsohlen bei jedem Schritt und meine Rückenschmerzen waren von einem anderen Stern.

Der direkte Weg nach Mainz. Bestimmt angenehm mit dem Fahrrad zu beradeln, wenn einem die Sonne nicht gerade das Hirn “well done” grillt.
Ein letzter Rückblick auf den Main. Der vorzeitige Abschied gestern war ein Fehler meinerseits, aber diesmal kann ich mit Gewissheit sagen: Jetzt werde ich den Main wirklich, wirklich in den nächsten Monaten nicht mehr wiedersehen.

Nachdem ich den Main bis zu seiner Mündung in den Rhein begleiten durfte, ging es für mich weiter an der Rheinpromenade entlang. Hier war wieder viel Betrieb. Viele Leute waren auf ihren Fahrrädern, mit ihren Hunden oder einfach zu einem Spaziergang unterwegs und genossen das “schöne” Wetter. Auf der anderen Seite des Rheins konnte ich bereits Mainz mit seinen vielen historischen Gebäuden erkennen und in diesem Moment traf mich eine Erkenntnis wie ein Schlag: Ich war in meinem Leben noch nie in Mainz gewesen. Es war immer nur einen Steinwurf entfernt, aber trotzdem hatte es mich nie dorthin verschlagen. Umso mehr Vorfreude hatte ich nun, endlich anzukommen.

Der vielversprechende Ausblick auf Mainz. Alle Schmerzen waren plötzlich vergessen und die Kilometer an der Promenade sind wie im Flug an mir vorbeigerauscht.

Schließlich überquerte ich die riesige Brücke, die Hessen mit Rheinland-Pfalz verband und setzte so zum ersten Mal einen Fuß nach Mainz. Ich hatte zwar noch gut Weg vor mir, da ich zuerst noch den Dom besuchen und mir meinen Stempel abholen wollte. Dann erst würde ich mich auf dem Weg zu meiner Unterkunft machen, die leider etwas ab vom Schuss lag.

Im Dom hatte ich noch eine nette Begegnung mit einer älteren Seniorin, die mir einen Buen Camino gewünscht hat und mir dann erzählte, wie sie selbst in jüngeren Jahren schon zweimal nach Santiago gepilgert ist.

Der Mainzer Dom war weitaus größer als ich ihn mir vorgestellt hatte! Leider konnte ich nur Fotos von außen machen, da es innen extrem dunkel war. Das hat allerdings zu einer außergewöhnlich heimeligen Atmosphäre beigetragen.
Geschafft! Ich habe mein heutiges Ziel erreicht.

2 Kommentare

  • Reiner Jung

    Hallo liebe Eva,
    Aus der OP hatte ich noch vor deinem Abenteuer erfahren, welchen Weg du vor dir hast.
    Ich bin ebenfalls aus Offenthal und habe soeben auf deinem letzten Bild der Etappe 3 (Mainz) die Stempel gesehen und gaaanz links wohl die Kirche von Offenthal entdeckt- stimmt’s???
    Meine Reise von Offenthal nach Santiago ist im August 60 Jahre her und fand damals mit 5 Personen in einem VW Käfer statt !
    Ich habe noch viel zu lesen von deinen Berichten und werde dir demnächst noch einen Reisetip geben…
    LG Reiner 👍

    • Eva

      Hallo Reiner,

      das klingt ja, als hättest du auch eine tolle Reise hinter dir! Ich hoffe, ich bekomme irgendwann mal die Gelegenheit, dass du mir mehr erzählst 🙂
      Und ja, du hast Recht, den ersten Stempel habe ich mir tatsächlich an der Kirche in Offenthal geholt!

      Viele Grüße,
      Eva

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