34. Etappe: Baye – Sézanne
Gelaufen: 20,3 km (Gesamt: 686,2 km)
Zurzeit schien wieder einen Fluch auf mir zu liegen da ich aktuell einfach Tag für Tag nicht aus dem Bett kam. Ich befand mich wohl wieder in einem Motivationstief und auch mein Kopf schien nicht auf der Höhe zu sein. Sorgen machten mir immer wieder die Unterkünfte, die entweder nicht erreichbar waren, sich nicht zurückmeldeten oder einfach ausgebucht waren. Hinzu kam die Sprachbarriere. Daher hatte ich mir an diesem Morgen die Herbergsmutter zur Hilfe gerufen. Sie konnte mir wenigstens eine private Unterkunft bei einer französischen Familie für den folgenden Tag organisieren.
Nach einem guten französischen Frühstück ging es dann auch viel zu spät auf den Weg. Die Landschaft bot heute nichts Aufregendes. Wald und Felder wechselten sich ab, immer wieder unterbrochen von kleinen Dörfern und gelegentlichen Strecken auf der Straße. Lediglich die Kirche Saint Prix, die sich hinter einer geraden Straße erhob, gab einen interessanten Anblick ab.
Hinter der Kirche führte der Jakobsweg wieder in ein Waldstück wo meine liebsten Freunde bereits auf mich warteten: Mücken. Doch heute waren sie penetranter und aggressiver als je zuvor. Die Menge an Mückenstichen, die ich heute geerntet habe, ließ sich nicht mehr zählen.
Nachdem ich die letzten Tage und auch heute Morgen in keinem guten mentalen Zustand war, haben die Mücken mir wirklich den Rest gegeben. Mit den Nerven vollkommen am Ende bin ich die letzten Meter aus dem Wald gesprintet. Mit der brütenden Mittagssonne ließen auch die Mücken schlagartig von mir ab und obwohl die Sonne mit jeder Sekunde ein Dutzend meiner Hirnzellen zu Gyros grillte, erschien es mir angesichts der Situation wie eine Wohltat.
Endlich konnte ich wieder durchatmen und dann brach es auch schon aus mir heraus. Wahrscheinlich musste der ganze Stress und Frust der letzten Tage einfach nur wieder rausgeheult werden. Daher setzte ich mich auf ein Mäuerchen an einem kleinen Teich, der sich in der Nähe befand, und nahm mir die Zeit um mich wieder zu sammeln.
Als ich mich schließlich wieder fit genug fühlte weiterzulaufen, begab ich mich in die nächsten Getreidefelder. Doch wirklich viel nahm ich von meiner Umgebung nicht wahr. Ich schien mich in Zeitlupe zu bewegen und mein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Watte gefüllt. Ich dachte an nichts und setzte nur mechanisch einen Fuß vor den anderen.
Erst als ich mal wieder einen Erbsenacker passierte, wurde ich zurück in die Realität geholt. Anscheinend konnte ich zu frischen Erbsen wirklich nicht nein sagen. Und so klaute ich mir wieder eine Handvoll Erbsen zusammen und stopfte sie eifrig in meine Hosentaschen, um sie auf dem restlichen Weg vor mich hin zu knabbern. Immerhin lenkte mich das lange genug ab und brachte mich wieder auf andere Gedanken.
Jetzt realisierte ich auch, wie sich die Getreidefelder im Vergleich zu den letzten Wochen langsam gold färbten. Sie waren wirklich hübsch anzusehen vor allem, da sich mittlerweile zum allgegenwärtigen roten Mohn auch blaue Kornblumen gesellten, die den Wegrand schmückten.
Beim Betrachten der Getreidefelder entdeckte ich plötzlich etwas Rotbraunes über den Weg huschen. Und bei genauerem Hinsehen stellte sich heraus, dass eine Fuchs-Mama mit zwei kleinen Fuchsbabys geradewegs im Rapsfeld verschwand. Als ich vorbeilief, achtete ich auf die Stelle, wo ich die Füchse gesehen hatte und tatsächlich konnte ich noch kleine Fellknäuel mit spitzen Öhrchen ausmachen. Aber anscheinend reichte meine Aufmerksamkeit aus, um sie zu verängstigen, denn kaum war ich stehen geblieben um sie zu betrachten, liefen sie auch schon davon und hinterließen nur ein Rascheln im Raps.
Aber kurz darauf machte ich auch schon die nächste freudige Entdeckung: offensichtlich hatte ich das niederländische Pilger-Paar eingeholt, das ich in der Pilgerherberge in Château-Porcien kennengelernt und zuletzt vor einer Woche in Reims gesehen habe. Das Wiedersehen war sehr fröhlich und herzlich und wir hatten uns viel zu erzählen. So verflogen auch die letzten Kilometer bis zum Ziel wie im Flug.
In Sézanne angekommen gönnten wir uns eine gemeinsame Pause. Wir fanden ein nettes Café mit angenehmer Terrasse und tauschten uns bei Kaffee und Bier über Gott und die Welt aus.
Etwa eine Stunde später traf auch Carla, die Niederländerin von gestern ein und schloss sich unserer geselligen Runde an. Es war sehr angenehm in einer Gruppe von Pilgern zusammen zu sitzen und zum ersten Mal fühlte ich mich wirklich an meinen Jakobsweg in Spanien zurückerinnert.
Wir verglichen unsere Pläne für die nächsten Tage und stellten dabei fest, dass Carla und ich für morgen Schlafplätze in der selben Familie reserviert hatten. Wir würden uns also so oder so noch über den Weg laufen. Mittlerweile von meinem starken Bedürfnis nach einer Dusche getrieben verabschiedete ich mich schließlich vom Rest und begab mich in meine Unterkunft.