9. Etappe: Bad Salzig – Alken
Gelaufen: 20,8 km (Gesamt: 186,8 km)
Die letzten Tage hatte ich immer wieder ein Motivations-Problem und auch sonst ging es mir mental nicht gerade gut. Ich war sehr antriebslos, habe an allem gezweifelt und als ich gestern Abend die Kirche von Bad Salzig besucht habe, ist plötzlich alles aus mir rausgebrochen. Und das war wahrscheinlich einfach mal nötig.
So unangenehm das auch klingen mag, aber depressive Verstimmungen und ein paar Tränen gehören einfach zum Pilgern dazu. So viele Stunden am Tag ist man ganz allein nur mit sich und seinen Gedanken beschäftigt, da kann es schon passieren, dass man Themen ans Licht bringt, die man im Alltag eher vergräbt. Und dann sieht man sich früher oder später mit Dingen konfrontiert, die man normalerweise verdrängt.
Auch dieser Tag begann zunächst mit anfänglichem Trübsal, aber tatsächlich hellte sich meine Stimmung nach relativ kurzer Strecke wieder auf. Und seit langem war ich endlich wieder richtig gut gelaunt und hatte sogar Vorfreude auf die Etappe. Wahrscheinlich hat es das Ventil einfach mal gebraucht, um das gesamte System auf “Reset” zu setzen.



In gefühlt kürzester Zeit flog ich über den Hügel von Bad Salzig nach Boppard. Lediglich die Knie meckerten wieder bei dem steilen Abstieg. Und hinter Boppard sollte auch gleich der nächste, sehr steile Aufstieg folgen. Aber bevor ich mir so viele Sorgen um meine ledierten Knie machen konnte, erblickte ich die Erlösung: einen Sessellift. Tatsächlich gab es einen Sessellift von Boppard auf genau den Berg, den ich hätte erklimmen sollen.
Ich machte mir zwar erst noch Gedanken, ob ich wirklich diese Abkürzung nehmen sollte und ob das nicht geschummelt wäre, aber meine Knie erinnerten mich erneut daran, das ich meine Gesundheit priorisieren sollte. Und so nahm ich schließlich doch den Lift auf den Gipfel. Doch je länger ich im Lift saß und den Ausblick genoss, desto weniger bereute ich es. Im Gegenteil: Es war die beste Entscheidung, die ich seit langem hatte! Ich konnte vom Sessellift aus den Wanderweg sehen, der sonst meine Route gewesen wäre und allein der Anblick ließ meine Knie weinen: Ein felsiger, gerölliger Pfad mit unmöglicher Steigung, der eher an Pilgerwege in Nepal oder Tibet erinnerte.


Frisch und erholt auf dem Berg angekommen, konnte ich einen letzten Blick auf den Rhein werfen, ehe ich den Rheinburgenweg verließ und mich Richtung Westen begab. Ich folgte wieder meinem GPS und Online-Karten, da es hier keine festgelegte Route gab, nur etliche kleinere Rundwanderwege.

Nachdem ich auch hier wieder mal den ein oder anderen unnötigen Schlenker durch den Wald gemacht habe, bin ich nach einigen Kilometern endlich auf den heiß ersehnten Mosel-Camino gestoßen. Ab hier gab es also wieder Muscheln, denen ich einfach folgen durfte. Welch ein Luxus!

Der Camino führte mich weiter durch Wälder, über Felder, vorbei an riesigen Sendemasten des SWR und über die Autobahn A61. Lediglich das Wetter gestaltete sich als etwas anstrengend. Der konstante Wechsel von Sonne und leichtem Regen zwang einen dazu, immer wieder die Kleidung wechseln zu müssen, da der Umschwung von “zu warm” zu “zu kalt” oft sehr schnell geschah.


Als ich mich endlich der Mosel näherte, wurde ich mit einer wundervollen Aussicht auf Burg Thurant belohnt. Gleichzeitig bedeutete das für mich, dass mein Etappenziel in greifbarer Nähe war. Ich lief an der Wallfahrtskirche Bleidenberg vorbei und hätte weniger als einen Kilometer nach Alken gehabt. Aber ich hatte die Rechnung ohne den diabolischen Abstieg gemacht. Vor allem, dass der Weg oben am Berg als “Klettersteig” ausgeschildert war, hat mich echt vom Glauben abfallen lassen. Und als dann noch ein Blick auf die Karte verriet, dass ich an der Stelle keine Alternativen hatte, blieb mir leider nichts anderes übrig. Augen zu und durch.



So begab ich mich auf den langwierigen und schmerzhaften Abstieg. Alles verlief wie in Zeitlupe und ein Blick auf die Uhr hatte mir verraten, dass ich für den gesamten Abstieg, der eine Länge von “nur” 800 Metern hatte, ganze 25 Minuten gebraucht habe. Und während des ganzen Abstiegs ging mir nur durch den Kopf, dass derjenige, der diesen Weg angelegt hatte, gesteinigt gehört. Und zwar mit jedem einzelnen Stein, der auf diesem Weg lag (und eine potenzielle Rutschfalle darstellte).
Aber all diese Strapazen waren plötzlich vergessen, als ich am Fuß des Berges von meiner lieben Freundin Kathi in Empfang genommen wurde, bei der ich die nächsten Nächte übernachten dürfte. Leider ist sie meine einzige Bekannte, die direkt am Jakobsweg wohnt, denn über mehr solcher Begegnungen hätte ich mich definitiv nicht beschwert.

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3 Kommentare
Kathi
Meine liebe Eva.
Noch nie kam mich eine Freundin aus 200km Entfernung zu Fuß besuchen.
Und als ich dich da oben sah, bei diesem steilen Abstieg hatte ich Tränen in den Augen.
Ich bin sooo stolz auf dich.
Du gehst deinen Weg unbeirrt weiter.
Ich freue mich darauf, dich bald wieder in den Arm nehmen zu können. Wenn es soweit ist, hast du deinen Weg gemeistert!
♡
Eva
Awwww, Kathi!
Du bist so ein Schatz! Freue mich auch schon auf unser nächstes Wiedersehen 🙂
Nochmal riesiges Dankeschön, dass du mich auf meiner Reise bei dir aufgenommen hast!
Thomas
Super, da hattest du ja heute doppelte Freude am Etappenziel 👍😊.
Ich glaube da muss ich auch mal Wandern gehen. Ich liebe Nepal und den Himalaya 😅und werde gerne daran erinnert.