Deutschland

2. Etappe: Frankfurt a.M. – Kriftel

Gelaufen: 22,4 km (Gesamt: 45,7 km)

Die letzte Nacht war erstaunlich ruhig. Dazu sei auch erwähnt, dass offensichtlich mehrere Schulklassen gerade ihre Abschlussfahrten in Frankfurt verbringen. Der Sprache nach zu urteilen war ich auf dem selben Gang untergebracht wie eine polnische und eine französische Schulklasse, während das Stockwerk über uns von (schätzungsweise) tschechischen oder slowakischen Jugendlichen dominiert wurde. Den ganzen Abend lang hörte man den Lärm, das Gekreische, unzähliges Türknallen und übermäßig laute Gespräche der Schüler und ich hatte schon Zweifel, ob ich überhaupt ein Auge zubekomme. Und dann setzte die Magie deutscher Jugendherbergen ein. Mit bewundernswerter Pünktlichkeit wurde es um genau 22 Uhr im gesamten Gebäude mucksmäuschenstill. Das hat mich wirklich schwer beeindruckt (zu meiner Schulzeit hat das nie so mühelos funktioniert) und ich konnte mir ungehindert meine Mütze Schlaf holen.

Am heutigen Morgen wurde ich bereits vom ersten Sonnenschein und strahlend blauem Himmel begrüßt. Noch schnell im Speisesaal das Frühstück einverleibt (das tatsächlich überraschend gut war), meinen Rucksack zusammengepackt und schon konnte es losgehen. So sehr ich gestern Abend und auch noch heute Morgen Sorgen um meine immer noch schmerzenden Füße hatte, desto erstaunter war ich, wie viel besser die Füße sich in den Wanderschuhen anfühlten.

Guten Morgen, Frankfurt!

Anders als gestern konnte ich heute endlich der Wegmarkierung des Jakobsweges folgen, eine gelbe Muschel auf blauem Grund. Und diese führte mich am linken Mainufer entlang. Und das nicht zu knapp – ganze neun Kilometer. Aber das war alles andere als langweilig! Und vor allem war ich sehr erleichtert, dass diese lange Strecke durch Frankfurt doch relativ hübsch und ansehnlich war.

Ich konnte den genannten Weg gedanklich in drei Drittel unterteilen. Das erste Drittel war die voll belebte Main-Promenade mitten in der Innenstadt von Frankfurt. Trotzdem lief es sich ganz angenehm. Ich konnte gut die vielen Wolkenkratzer bestaunen, habe mit Begeisterung festgestellt, dass die Frankfurter Gänse zur Zeit (sehr plüschige) Küken haben und war absolut entzückt, wie viele Gänseblümchen am Mainufer wachsen. Zudem haben mir mehrere Passanten und vorbeifahrende Radfahrer eine gute Reise gewünscht und nicht nur einmal habe ich sogar das spanische “Buen Camino!” vernommen. Diese vielen flüchtigen, aber netten Worte haben meine Laune richtig beflügelt.

Auch wenn Graugänse, Nilgänse und Kanadagänse in Frankfurt bereits zu einer ernstzunehmenden Plage ausgeartet sind – die kleinen, flauschigen Küken sind einfach niedlich.
Das Meer an Gänseblümchen lässt den Grünstreifen schneeweiß aufleuchten.

Das zweite Drittel des Mainufers war weniger attraktiv. Man hat sich nicht mehr direkt am Wasser bewegt, aber dafür direkt neben einer vielbefahrenen Straße. Da war es dann vorbei mit Umfeld beobachten und Gedanken schweifen lassen. Kein Wunder, das einem hier immer weniger Menschen entgegen kamen. Das letzte Drittel war aber dafür wieder sehr viel einladender. Der Weg hat sich wieder von der Straße entfernt und war gesäumt von saftigem Grün. So ließ es sich wieder aushalten und da konnte ich auch nicht mehr anders, als hier eine kleine Snack-Pause einzulegen.

Man mag’s kaum glauben, aber auch Frankfurt hat Ecken, die grün und menschenleer sind.

Im Anschluss habe ich über eine große Brücke den Main überqueren können, von der man einen kleinen Ausblick auf den Feldberg, den höchsten Berg des Taunus hatte. Falls du es noch nicht wusstest: ich bin im Taunus aufgewachsen und liebe dieses Gebirge einfach. Dementsprechend hat mir dieser Anblick einen neuen Motivationsschub gegeben. Auf der anderen Seite des Mains ging es dann auch schon über das vierte Drittel idyllische Mainwiesen geradewegs auf Höchst zu.

Höchst hat eine kleine, aber sehr beeindruckende Altstadt. Gerne hätte ich mir das zugehörige Schloss angeschaut, aber im Vorbeilaufen habe ich festgestellt, dass dort gerade eine Trauung stattfand und da wollte ich selbstverständlich nicht stören. Stattdessen bin ich zur Justinuskirche weitergepilgert. Da die allerdings gerade zu war, gestaltete sich (wie auch schon gestern in Frankfurt) die Suche nach dem Jakobsweg-Stempel als Schnitzeljagd. Aber auch hier bin ich durch etwas rumtelefonieren und willkürliches Klingeln beim Pfarrbüro zu meinem Ziel gekommen.

Die Altstadt von Höchst ist sowohl von außen als auch von innen hübsch anzuschauen.

Mit einem weiteren Stempel im Gepäck ging es auf die letzten Kilometer zu. Der Jakobsweg führte aus Höchst zunächst wieder über einige Feldwege zwischen gelben Rapsfeldern vom Main weg. Diesen Fluss werde ich so schnell nicht mehr wiedersehen. Mittlerweile wurde es immer wärmer und die Sonne strahlte gnadenlos auf mich nieder. Dafür, dass die aktuellen Temperaturen 17°C sein sollten, kam es mir aber sehr sommerlich vor.

Hinter den Feldern am Horizont offenbarte sich ein weiteres Mal der Feldberg.

In Zeilsheim erwarteten mich aber weitere Überraschungen. Zunächst war ich sehr fasziniert von den alten Ziegelhäusern, die plötzlich und unvermittelt ihr eigenes Viertel bildeten. Spätere Recherchen verrieten mir, dass es sich um eine ehemalige Arbeitersiedlung aus dem frühen 20. Jahrhundert handelte. Und dann überraschte mich eine Stempelstelle an der Bartholomäus-Kirche, von der ich im Vorfeld gar nichts wusste. Natürlich musste ich den Stempel auch mitnehmen, auch wenn es am Ende bedeutet, dass ich mir in Spanien noch einen Pilgerpass dazukaufen muss, weil die anderen voll sind.

Die pittoresken Backsteinhäuser der Arbeitersiedlung, die den einfachen Namen “Kolonie” (alternativ auch “Colonie”) trägt.

Hinter der Kirche ging es auch gleich wieder hinaus auf die Feldwege, die sich weiterhin durch den blühenden Raps schlängelten und mein Endspurt nach Kriftel war eingeläutet. Meine Motivation hielt sich bereits in Grenzen und die Hitze, die genau genommen keine Hitze war, tat den Rest. Und zu allem Überfluss hing mir auch noch mein Magen in den Kniekehlen und knurrte mürrisch vor sich hin. Ich konnte mich wirklich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal solch einen Bärenhunger hatte.

Ein letztes Mal den Bahngleisen folgen, bevor es in den Feierabend geht.

Endlich an der Unterkunft angekommen ereilte mich die nächste Überraschung: Ich habe den Pilger-Jackpot geknackt! Kurze Vorgeschichte: Ich hatte in dieser Unterkunft für relativ wenig Geld ein kleines Einzelzimmer (9qm) mit Gemeinschaftsbad gebucht. Gestern kam dann die Nachricht, ob ich denn für einen kleinen Obulus zu einem größeren Zimmer (30qm) mit eigenem Bad upgraden möchte. Ich habe dankend abgelehnt. Und heute stelle ich fest: Ich bekomme das große Zimmer trotzdem und ohne Aufpreis. Bingo!

8 Kommentare

  • Helga Ohlig

    Liebe Eva, ich bewundere dein Vorhaben und wünsche dir auf deinem Weg alles Gute. 😘🙋‍♀️
    Viele Grüße Helga.

      • Karlheinz Fleckenstein

        Hallo Eva,
        die besten Wünsche !
        Dir viel Freude und Erfolg auf Deinem Weg.
        Bleibe gesund und dass deine Muskel und Sehnen
        den “Thruhike” nach Santiago die Compostella gut bewältigen.

        Viele Grüße
        Karlheinz

        • Eva

          Hallo Karlheinz,

          danke für die Wünsche! Ich feiere auch schon jeden Tag, den meine Gesundheit keine Probleme macht 😀

          Viele Grüße,
          Eva

  • Thomas

    Find ich wirklich klasse was du da machst. Werde deine Etappen weiter verfolgen. Wünsche dir das Beste 🙋🏻‍♂️.

    Gruß Thomas

  • Petra

    Hallo Eva,

    ich habe durch den Extra Tipp von Deinem Vorhaben erfahren und es hat mich so begeistert, dass ich den Link gleich gespeichert habe 😊.
    Ich verfolge Deine Erfahrungen auf Deiner Seite mit viel Freude und Begeisterung.
    Einfach toll und mutig was Du Dir vorgenommen hast👍.
    Ich wünsche Dir viel Kraft, Energie, positive Gedanken, viel Spaß, das Du Gesund bleibst und natürlich Durchhaltevermögen.
    Ich freue mich schon wieder auf den nächsten Bericht von Dir.
    Herzliche Grüße unbekannterweise Petra

    • Eva

      Hallo Petra,

      vielen lieben Dank für deine motivierenden Worte. Es freut mich sehr zu hören, dass das Lesen dir so eine Freude bereitet 🙂
      Und danke für deine herzlichen Wünsche. Deine Worte in Gottes Ohren.

      Viele Grüße,
      Eva

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