Frankreich

28. Etappe: Justine-Herbigny – Château-Porcien

Gelaufen: 11,8 km (Gesamt: 554,1 km)

Heute Morgen musste ich mich von Christelle, ihrer Farm und den drei Bikern aus Wales verabschieden. Ich ging sprichwörtlich mit einem lachenden und einem weinenden Auge, da ich in den letzten Tagen einfach liebe neue Freunde dazu gewonnen habe und vor allem unheimlich viel Hilfsbereitschaft, Wärme und Nächstenliebe erfahren durfte. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung und die schöne Zeit, die ich mit diesen wundervollen Menschen verbringen durfte.

Christelle setzte mich vor der Kirche von Justine-Herbigny ab, wo ich meine letzte Etappe beendet hatte und nach einer letzten Umarmung begab ich mich auf den Weg. Über einen einfachen Feldweg verließ ich den Ort, aber es dauerte auch nicht lang, bis mich die erste Überraschung des Tages ereilte: nur wenige Meter vor mir sprang plötzlich ein Nutria aus dem Getreidefeld, trabte über den Weg und verschwand auch schon im angrenzenden Wald. Natürlich war ich darauf nicht vorbereitet gewesen, weshalb ich kein Foto erhaschen konnte, aber genau das waren die kleinen Situationen, die den Pilgerweg immer wieder aufs Neue interessant und unterhaltsam machten.

Die französischen Getreidefelder hielten manchmal einige Überraschungen bereit.

Zwischendurch wurde ich sogar von einer Gruppe Radfahrern mit einem fröhlichen “Buen Camino” gegrüßt. Den Pilgergruß hatte ich schon lange Zeit nicht mehr gehört (wenn mich nicht alles täuscht, zuletzt in Deutschland), aber er verschaffte mir gleich etwas gute Laune.

Unterwegs erwartete mich wieder ein Wegweiser, der die Entfernung nach Santiago mit 2454 km angab. Und ich kam wieder zum Entschluss, dass die Zahlen wohl ausgewürfelt wurden.

Das Wetter entwickelte sich heute wieder zu brütender Hitze und ungebremsten Sonnenschein. Und zu meinem Ärgernis gab es immer weniger Schattenplätze, aber dafür umso mehr Getreidefelder und Äcker. Zwar hatte ich schon die letzten Tage feststellen dürfen, dass sich meine Haut anscheinend schon etwas an die Sonne gewöhnt hatte, da ich nicht mehr so schnell Sonnenbrand bekam, wie zu Beginn meiner Reise, aber unangenehm war es trotzdem, wenn man der Sonne so schutzlos ausgeliefert war. Schattenspendende Bäume wurden immer seltener, bis ich letztendlich bis zum Horizont keinen einzigen Schatten mehr ausmachen konnte.

In sommerlichen Temperaturen lernt man jeden Schatten zu schätzen.

Abwechslung brachten schließlich die hinter den Hügeln auftauchenden Windräder, die schnell an Zahl zunahmen und sich nach einigen weiteren Minuten als umfassender Windpark entpuppten.

In dieser baumlosen Hügellandschaft ergab ein Windpark wahrscheinlich Sinn. Vor allem wenn es bei dieser flächendeckenden landwirtschaftlichen Nutzung keine Anwohner gab, die sich beschweren könnten.

Eine weitere Abwechslung zwischen all den vielen Getreidefeldern war ein Acker voller Zuckerschoten, an dem ich beinahe vorbeigelaufen war, da ich schon wieder meinen Tempomat angeschmissen hatte und mit den Gedanken ganz woanders war. Anfangs zögerte ich noch etwas, aber als ich mich nochmal umgesehen hatte, um sicherzugehen, dass ich unbeobachtet war, rupfte ich mir ein paar junge Erbsenschoten von den Sträuchern. Ich liebte alles an diesem Gemüse und noch dazu waren Zuckerschoten in deutschen Supermärkten immer so unverschämt teuer. Da konnte ich der Versuchung einfach nicht widerstehen. Und die jungen Schoten waren absolut köstlich!

Ein gesunder Snack zwischendurch, den die Bauern hoffentlich nicht vermissen würden.

Ansonsten vertrieb ich mir meine Zeit wieder mit improvisierten Musical-Auftritten inklusive Gesang und Tanzeinlagen. Immerhin konnte ich über die Getreidefelder kilometerweit schauen und wusste deshalb, dass sich keine anderen Personen in Sicht- und Hörweite befanden.

Lange, verlassene Feldwege eigneten sich perfekt als private Bühne, auf der ich meiner Kreativität freien Lauf lassen konnte.

Nach etlichen monotonen Kilometern durch Nordfrankreichs Agrar-Wüste, erreichte ich schließlich die Stadt Château-Porcien und mit ihr auch meine erste offizielle Pilgerherberge meines Caminos. Den Code für die Tür hatte Christelle im Vorfeld für mich beim örtlichen Rathaus erfragt, sodass ich auch gleich eintreten konnte. Da ich die erste Pilgerin war, durfte ich mich auch in Ruhe umsehen und mir vor allem das beste Bett aussuchen.

Endlich eine richtige Pilgerherberge, die von außen sogar die vertrauten Muschel-Markierungen trug.

Im Laufe des späten Nachmittags trudelten noch vier weitere Pilger ein, zwei jeweils alleinreisende Belgierinnen und ein quirlig fröhliches Paar aus den Niederlanden. Alle machten einen ganz netten ersten Eindruck und beim semi-gemeinsamen Abendessen stellte sich im Gespräch heraus, dass wir morgen alle das selbe Etappenziel anstrebten.

Mit anderen Pilgern stellte sich schnell das richtige “Jakobsweg-Feeling” ein. Und ja, auch das tägliche Wäschewaschen gehört zum Pilgeralltag!

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