Frankreich

25. Etappe: Charleville-Mézières – Remilly-les-Pothées

Gelaufen: 22,9 km (Gesamt: 507,4 km)

Der gestrigen Abend war eine vollkommene Katastrophe für mich. Die Erholung und Positivität, die ich im Laufe der Pausenetappe gesammelt habe, waren wieder dahin. Meine größte Sorge war, dass ich immer noch nicht wusste, wo ich heute schlafen sollte. Mir war zwar bewusst, dass wir wieder ein Wochenende mit Feiertag bevorstehen hatten, aber deshalb hatte ich versucht, mich rechtzeitig um einen Schlafplatz zu bemühen. Haken dabei: Alle meine direkten E-Mails blieben unbeantwortet und wann immer ich versuchte, jemanden telefonisch zu erreichen, hob niemand ab. Und je näher das Wochenende rückte, desto verzweifelter wurde ich.

Mein letzter Strohhalm, an den ich mich klammerte, war ein kleiner Bauernhof, der von Alt-Pilgern betrieben wurde. In einer umfassenden E-Mail, die ich noch um 23 Uhr geschrieben habe, erklärte ich meine aussichtslose Situation und bat darum, vielleicht einen Schlafplatz auf dem Boden haben zu können, damit ich wenigstens ein Dach über dem Kopf hatte.

Heute Morgen der Befreiungsschlag: Die Gästezimmer waren zwar voll belegt, aber da sie sich als Pilger in meine Situation hineinfühlen konnten, würden sie mich definitiv nicht hängen lassen. Sie boten mir an, mich am Ende meiner Etappe abzuholen (die Farm lag etwas abseits des eigentlichen Jakobswegs) und mich am nächsten Morgen auch wieder hinzufahren. Und alles drum herum würde sich schon klären.

Nach der guten Nachricht konnte ich mich noch viel mehr am morgendlichen Anblick der Stadt erfreuen.

Unbeschreiblich erleichtert konnte ich mich auch wieder mit Vorfreude auf den Weg machen. Zumindest die heutige Nacht war gesichert und eine große Last wurde mir von den Schultern genommen. Wie beflügelt marschierte ich in Windeseile durch die Straßen von Charleville-Mézières, bis ich schließlich das Ufer der Maas erreichte. Diesen Trampelpfad konnte man zwar nicht wirklich als Promenade bezeichnen, aber trotzdem ließ es sich sehr angenehm laufen. Vor allem, da die vielen Bäume in den ansteigenden Temperaturen zuverlässigen Schutz vor der Sonne boten.

Die von mir gewählte Route stellte sich als erstaunlich gut und angenehm heraus.

Einmal aus dem Stadtgebiet raus wurde ich wieder von der bekannten Landschaft aus vielen Wildwiesen, Viehweiden und gelegentlichen Wäldern begleitet. Doch gerade letzteres stellte sich als zunehmendes Problem heraus. Es war zumindest eine gewisse Herausforderung, bei steigenden Temperaturen und mangelndem Schatten wortwörtlich einen kühlen Kopf zu bewahren. Aber mit taktischen Pausen und regelmäßiger Hydration ließ sich auch diese Hürde überwinden.

Auf vielen Teilen der heutigen Etappe war Schatten Mangelware. Gerade bei sommerlichen Temperaturen kann das zum Problem werden.

Einen Großteil der Etappe habe ich wieder in meinen eigenen Gedanken verbracht. Vor allem, nachdem mir Christelle in ihrer E-Mail von heute Morgen erzählt hat, dass ihre bessere Hälfte Jos erst kürzlich verstorben ist und sie die Farm nun alleine schmeißen muss, war ich in Gedanken sehr viel bei meinem Ehemann daheim. Bei solch tragischen Schicksalsschlägen tendiere ich oft dazu, etwas über das Leben nachzudenken, wie schnell es vorbei sein kann und wie unbeschreiblich dankbar ich für die wertvollen Menschen an meiner Seite bin.

Die kurzen Walsabschnitte boten immer wieder Mal angenehme Abkühlung.

Die Kilometer flogen fast unbemerkt an mir vorbei, auch wenn einige Kleinigkeiten in meinem Umfeld immer wieder meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Dazu gehörten unter Anderem die immer wiederkehrenden lustigen Waschbärspuren im Schlamm oder auch Mal ein beeindruckender Dachsbau im Wald. Und auch das erste Blutopfer wurde heute eingefordert, als ich mir an einigen Brombeerranken die Beine aufgeschnitten habe. Ärgerlich, aber solche Wehwehchen gehören leider auch dazu.

Ich kann nicht sagen, woran es liegt, aber ich muss immer etwas Schmunzeln, wenn ich diese Patschehändchen von Waschbären sehe.

Während die die Temperaturen am Nachmittag immer weiter stiegen und die Hitze unerträglich wurde, erreichte ich auch endlich wieder den offiziellen Jakobsweg, die Via Campaniensis. Ich hatte es für’s Erste geschafft. Theoretisch musste ich ab hier bis nach Santiago nie wieder den markierten Weg verlassen. Das machte zumindest die Wegfindung deutlich einfacher.

Endlich durfte ich wieder auf dem eigentlichen Jakobsweg laufen.

Nachdem ich die letzten wenigen Kilometer der heutigen Etappe auf dem Jakobsweg zurückgelegt hatte, kam ich endlich in Remilly-les-Pothées an. Ich hatte mich mit Christelle verabredet, dass sie mich dort vor der Kirche abholen würde. Und so wartete ich auf meinen rettenden Engel – Christelle stellte sich sehr schnell als unglaublich positive und liebenswerte Person heraus – und fuhr mit ihr zu ihrer Farm. Unterwegs tauschten wir uns noch etwas über unsere Hintergründe aus und sie erzählte mir etwas mehr von ihrem verstorbenen Lebensgefährten, da morgen sein Geburtstag gewesen wäre. Was für ein Timing.

Wenn man nicht zu hohe Ansprüche hatte, ließen sich gerade an Kirchen immer recht komfortable Pausenplätze finden.

Auf dem Hof angekommen, richtete mir Christelle schnell ein Zimmer in einem kleinen Nebenhaus her. Währenddessen konnte ich mich mit der restlichen Farm und den anderen Gästen bekannt machen und ich habe mich auf Anhieb daheim gefühlt. Die ganze Atmosphäre auf dem Hof war so voller Harmonie und Liebe, hier konnte man sich nur wohlfühlen.

Die “little farm”, wie das Nebenhaus hier liebevoll genannt wird, hatte ich vollkommen für mich allein.

Nicht nur hatte Christelle mich heute aus einer total verzweifelten Situation gerettet, ich bin so auch zur definitiv schönsten und besten Unterkunft meines bisherigen Caminos gekommen!

Erdgeschoss mit kleiner Wohnecke und der Schlafbereich im Dachgeschoss. Sehr rustikal, aber mit riesigen Wohlfühlfaktor. Hier konnte man noch die Stille genießen, da die einzigen Geräusche, die durch die Fenster drangen, Vogelgezwitscher und das Summen von Bienen waren.

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