Frankreich

30. Etappe: Bazancourt – Reims

Gelaufen: 17,7 km (Gesamt: 596,0 km)

Seit langer Zeit war der Morgen endlich wieder kühl und bewölkt. Endlich konnte ich wieder etwas durchatmen und mich von den heißen Tagen erholen. Auch wenn der Anfang der Etappe nicht besonders hübsch war, da er mich durch das Industriegebiet von Bazancourt führte, konnte ich wieder etwas in meinen Gedanken versinken.

In Bazancourt wird vor allem Zucker und Weizenstärke produziert.

Mir sind dabei einige Änderungen an mir selbst und meinem Umfeld bewusst geworden. So fingen meine Hosen, die anfangs gar nicht gepasst hatten, an zu rutschen, das Laufen war nur noch Kopfsache, die Füße waren topfit und ich hatte das Gefühl, ich wurde wetterbeständiger. Hitze, Regen oder andere Extreme konnten zwar nervig sein, aber man ließ sich davon nicht beeindrucken und lief einfach weiter. Außerdem realisierte ich, dass ich immer weniger auf die Meinung anderer Menschen gab. Mir war es beispielsweise schon egal, wie ich aussah – praktisch musste es sein! Gleichzeitig fiel mir auf, dass auch die Pflanzenwelt sich änderte und vor allem der Anblick von Bananenbäumen brachte mich dazu, das Klima dieser Gegend zu recherchieren. Und siehe da: obwohl ich gefühlt noch nicht so weit nach Süden gelaufen war, fiel in dieser Region die Temperatur selten bis nie unter null Grad.

Heute waren die weiten, goldenen Getreidefelder wieder meine ständigen Begleiter.

Der restlichen Weg führte mich fast ausschließlich wieder über Äcker, Felder und landwirtschaftlich genutzte Flächen und je später es wurde, desto mehr verflog die morgendliche Kühle und wich der gewohnten Hitze. Und neben der Hitze machte mir vor allem wieder der Staub zu schaffen.

Manchmal schien der Weg wirklich kein Ende zu nehmen.

Fußspuren im staubigen Boden verrieten mir, dass die anderen Pilger bereits vor mir aufgebrochen und mir voraus waren. Dennoch konnte ich außer Krähen, Hasen und gelegentlichen Flughühnern kein Leben auf den trockenen Feldern ausmachen. Nur die vielen Staubwolken wiesen erneut darauf hin, dass die Landwirte fleißig ihrer Arbeit nachgingen.

Wo gehobelt wird, fallen Späne. Oder eher: Wo getreckert wird, wird Staub aufgewirbelt.

Ich schleppte mich gedankenverloren durch die endlos erscheinende Landschaft, vorbei an Getreide-, Erbsen- und Backmohnfeldern, bis schließlich ein ganz besonderer Acker meine Aufmerksamkeit auf sich zog: Vor mir erstreckte sich plötzlich eine riesengroße Hanfplantage, soweit das Auge blicken konnte. Ich konnte zunächst meinen Augen nicht ganz trauen, weshalb ich zunächst mit einigen Fotos im Internet gesucht habe, aber es handelte sich definitiv um Cannabis. Erst viel später im Laufe des Tages fand ich auch heraus, dass Frankreich sogar die größten Hanfanbauflächen der gesamten EU hatte. Wieder etwas dazugelernt.

Riesige Hanfplantagen sind um Reims keine Seltenheit.

Nach vielen unzähligen Kilometern konnte ich am Horizont endlich die Dächer der Kathedrale von Reims erblicken. Schnell wichen die Felder immer mehr bebautem Industrie- und Gewerbegebiet, bis ich schließlich in die Innenstadt und den Kern von Reims kam. Und dann stand ich direkt vor der riesigen Kathedrale. Sie war atemberaubend und wunderschön und Just in diesem Moment packten mich die Emotionen. Erst jetzt realisierte ich wieder, wie weit ich schon gekommen war und wie viel ich bereits geschafft hatte. Und während ich noch von Unglauben und etwas Stolz gepackt gegen die nahenden Tränen kämpfte, hörte ich neben mir plötzlich eine bekannte Stimme, die mich auf niederländisch fragte: “Wird da jemand emotional?” (Zumindest klang es so, immerhin spreche ich kein niederländisch.) Neben mir stand das niederländische Pärchen und strahlte mich an. Sie waren schon eine gute Stunde vor mir angekommen und erzählten mir, dass auch die anderen Pilger, die ich letztens kennengelernt hatte, sich noch in der Kathedrale aufhielten.

Hinter den letzten Hügeln zeigten sich bereits die zwei Türme der Notre Dame von Reims.
Auch auf den letzten Kilometern durch die Stadt waren die Türme stets in Sichtweite.
Große Emotionen vor der Kathedrale.

Also sah ich mir rasch die Kathedrale von innen an, quatschte noch einige Takte mit den anderen Pilgern und begab mich schließlich auf den Weg zu meiner gebuchten Unterkunft. Hier würde ich einige Tage bleiben, da ich mich bereits im Vorfeld mit meinem Ehemann für ein verlängertes Wochenende in dieser Stadt verabredet hatte und ich freute mich bereits wie Verrückt auf das Wiedersehen und die paar Tage Pause.

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert