27. Etappe: Signy-l’Abbaye – Justine-Herbigny
Gelaufen: 18,9 km (Gesamt: 542,3 km)
Die heutige Etappe ist wieder wie im Flug an mir vorbeigezogen. Und anscheinend war ich wieder viel in Gedanken vertieft, denn ich könnte noch nicht einmal im Detail über jeden einzelnen Kilometer berichten.
Nachdem ich ausgiebig frühstücken konnte und Christelle mich wieder an den Startpunkt meiner Etappe in Signy-l’Abbaye gefahren hat, bin ich den gelben Muscheln zunächst aus dem Ort raus und in den Wald gefolgt. Ursprünglich war ich etwas übervorsichtig, da der Jakobsweg auf einer normalen Straße verlief, doch schnell erlangte ich wieder eine Realisierung, die mir in den letzten Tagen immer häufiger kam: französische Landstraßen sind Freunde. Als ich noch vor über einem Monat zuhause am PC grob meine Routen zusammengelegt habe, war ich absolut nicht begeistert, dass mir oft keine Alternative zu Straßen blieb. Aber in den letzten Tagen durfte ich immer häufiger feststellen, dass diese sogenannten “Straßen” scheinbar nicht oft befahren wurden. Oft genug schon war ich gefühlte Ewigkeiten auf derartigen Straßen unterwegs und es kamen mir nur ein oder zwei Autos entgegen.
Und auch heute wurde diese Beobachtung wieder bestätigt. Knapp fünf Kilometer legte ich auf der Straße zurück und kein einziges Auto begegnete mir in dieser Zeit. Doch das sollte mich nicht stören. Stattdessen genoss ich den schattigen Waldweg, bis er schließlich an einer etwas verwirrenden vierfachen Weggabelung in einen Schotterweg und schließlich einen Trampelpfad überging.
Immerhin konnte ich mich heute noch nicht über mangelnde Wegmarkierungen beschweren. Im Gegenteil. Immer häufiger erschienen Wegmarkierungen, die sogar mit den Schriftzug “Via Campaniensis” den aktuellen Jakobsweg identifizierten. Und selbst an Kreuzungen, an denen keine Muschel sichtbar war, konnte man sich zumindest an den typisch gelb-blauen Farben und Markierungen orientieren.
Hinter dem Waldstück erschien auch schon die etwas langgezogene Ortschaft Lalobbe. Hier musste ich mich aufgrund der Ausdehnung durch etwas Wohngebiet schleppen, aber auch das verging schneller, als beim ersten Blick auf die Karte angenommen. Anscheinend konnten mich meine Gedanken, die sich heute überwiegend um Diskriminierung in unserer Gesellschaft drehten, so gut ablenken, dass ich die Hälfte des Dorfes gar nicht mehr bewusst wahrgenommen habe.
Nachdem ich Lalobbe durchquert hatte, ging es durch eine rasche Abfolge an Feld, Wald, Landstraße und erneuten Wald, bis ich nach weiteren fünf Kilometern auch schon das schmucke Dörfchen Wasigny entdeckte. Wasigny war nicht besonders groß, aber dafür irgendwie anders als die anderen Orte, die ich bisher in Frankreich gesehen habe. Das begann schon damit, dass gleich am Ortseingang ein Haus stand, dessen Gartenzaun sehr umfassend mit Jakobsmuscheln behangen war. Ich kann euch leider nicht sagen, ob es sich bei dem Haus um eine Pilgerherberge oder Ähnliches handelte, aber dennoch war das Häuschen sehr ansprechend.
Nur zwei Straßen weiter traf ich auch schon auf das Herzstück des Dorfes: Eine Markthalle, original aus dem 15. Jahrhundert. Der Begriff “Halle” ist dabei vielleicht etwas irreführend, aber trotzdem hat der Ort etwas faszinierend uriges. Das hat mich dann auch gleich dazu verleitet, hier im wohlwollenden Schatten meine Pause einzulegen. Ich hatte den Großteil der Etappe bereits hinter mich gebracht, aber hatte eigentlich noch massig Zeit, sodass ich die Zeit unter anderem dafür nutzte, in meinem Wanderführer zu schmökern.
Mit frischer Energie begab ich mich auf meine letzten vier Kilometer, die sich aber als die außergewöhnlichsten des heutigen Tages herausstellen sollten. Und zwar führte mich mein Weg über einen Feldweg zwischen Weiden hindurch, der aber durch und durch mit hohem Gras bewachsen war. Man konnte nicht mehr wirklich einen Weg erkennen. Aber da heute wohl schon der ein oder andere Pilger vor mir da war, konnte ich anhand der um geknickten Halme einen Pfad ausmachen.
Das Gras wuchs schulterhoch, teilweise sogar höher, aber der Untergrund war dennoch einigermaßen eben, sodass man sich relativ sicher durch das hohe Gras bewegen konnte. Und während ich immer wieder mit den Armen das Gras beiseite schob, um mir meinen Weg zu bahnen, malte sich mein Kopfkino filmreife Szenen aus, wie episch der Marsch durch das Gras aussehen könnte. (Ja, mir ist bewusst, dass mein unkoordiniertes Gestolper nicht einmal halb so cool aussehen würde wie in Kinofilmen.)
Nach diesem gefühlten Querfeldein-Marsch kam ich am frühen Nachmittag auch schon in Justine-Herbigny, meiner heutigen Endstation an. Wie auch die letzten Etappen konnte ich mich wieder bei Christelle melden, um schließlich eine halbe Stunde später abgeholt und in die Unterkunft gefahren zu werden, wo ich noch ausgiebig meinen letzten Nachmittag und Abend auf der Farm genießen konnte.
2 Kommentare
Marita Godtmann
Habe Ihre Berichte schon sehr vermisst. Sie können nicht annähernd erahnen, wieviel Freude Sie damit einer fast 83-Jährigen machen. Ich wäre gern auch mal einen Jakobsweg gegangen, hatte aber im Berufsleben nie die Zeit dazu; und als ich in Rente war, ging es nicht mehr. Jetzt kann ich den Weg dank Ihrer tollen Beschreibung und Fotos miterleben. Herzlichen Dank; und weiterhin gutes und sicheres Pilgern.
Eva
Hallo Marita,
vielen, vielen Dank für deinen unheimlich lieben Kommentar! Menschen wie du motivieren mich immer wieder aufs Neue, weiterzumachen und nicht aufzugeben 🙂
Es ist für mich die größte Belohnung, zu erfahren, dass ich anderen Menschen eine Freude bereiten kann. Danke dafür!
Viele herzlichste Grüße,
Eva