Italien

Palermo – eine Stadt mit tausend Gesichtern

Lange musste ich überlegen, wie ich diesen Eintrag überhaupt verfasse. Ob ich alles in einen Beitrag fasse, ob ich mehrere Beiträge daraus mache und wie ich überhaupt meine gesammelten Einträge ausformuliere. In der kurzen Zeit in Palermo habe ich so vieles erlebt, Gutes und Schlechtes, Erschreckendes und Faszinierendes, und für viele dieser Paradoxe gibt es kaum Worte. Dennoch will ich es versuchen.

Palermo bei Tag

Da ich morgens in Palermo angekommen bin, war die Stadt bei Tag auch mein erster Eindruck, den ich hatte. Und ich muss leider sagen: An helllichtem Tag ist die Stadt einfach schrecklich. Palermo ist laut, Palermo ist dreckig und Palermo stinkt. Mir ist zwar bewusst, dass es sich um eine Großstadt handelt und da kommt man um die Lautstärke nicht herum, sehe ich ein, aber in allen Straßen sammelt sich tonnenweise Müll und Unrat und da bleibt bei der Hitze der Gestank auch nicht aus. Und vor allem fällt auf allen offenen Plätzen und über allen größeren Straßen ein feiner Dunst auf, der wie eine zähe, schleichende Flüssigkeit in den Straßen wabert, während uralte Autos fröhlich ihre schwarzen Ausdünstungen in die Umgebung pusten. Einfach schrecklich.

Palermo bei Nacht

So abstoßend ich die Stadt bei Tag auch fand, desto faszinierender und fesselnder wurde sie bei Nacht. Wo bei Sonnenschein noch tausende von Autos rücksichtslos über die Straßen geschossen sind, packten plötzlich unzählige Händler ihre Waren aus und verwandelten die Verkehrswege in vielbesuchte nächtliche Fußgängerzonen. Auf den vielen Straßen sah man kaum mehr Autos, dafür aber umso mehr Menschen, sodass Palermo tatsächlich erst nachts zu vollem Leben zu erblühen scheint.

(Foto: Mit den letzten Sonnenstrahlen der untergehenden Sonne zieht wieder leben in Palermos Straßen ein.)

(Foto: Nicht selten passiert es, dass man einer der vielen Prozessionen über den Weg läuft.)

Größenwahnsinn

Wenn man tagsüber durch Palermo schlendert oder sich – wie ich, nachdem ich von der Fähre kam – mit einem der Sightseeing-Busse durch die Stadt kutschieren lässt, stößt man auf allerhand große, prunkvolle Bauten. Die ersten Gebäude wirken noch sehr beeindruckend und es kann schnell passieren, dass einem die Kinnlade runterklappt. Aber je mehr Paläste man sieht und deren Geschichten hört, realisiert man zunehmend, dass in Palermo schon in den letzten Jahrhunderten eine “höher, schneller, weiter”-Mentalität vorherrschte. Riesengroße Wunderwerke entpuppten sich als “unwichtige” Herrenhäuser reicher Familien, denen es nur darum ging, ein schöneres Haus zu haben, als der Nachbar. Und dabei wurde in Palermos Geschichte noch nicht einmal davor zurückgeschreckt, noch ältere Bauten wie sogar Kirchen aus dem 12. Jahrhundert abzureißen, nur um Platz für den nächsten Palast zu haben.
Größenwahnsinn auf höchstem Niveau.

(Foto: Das teatro politeama ist eigentlich noch hübsch anzusehen, würde nicht direkt gegenüber schon das nächste gigantische Theater liegen.)

(Foto: Die im 16. Jahrhundert errichtete porta nuova hat ihre Daseinsberechtigung immerhin durch ihr Alter. Dennoch wurde sie als Symbol für den Sieg über die Mauren errichtet. Dies schien mir auch ein häufiges Motiv für immer größer werdende Prachtbauten gewesen zu sein.)

(Foto: Warum allerdings moderne Gebäude wie das hundsgewöhnliche lokale Postamt solche Ausmaße annehmen müssen, wird mir stets ein Rätsel bleiben.)

Flohmärkte und Basare

Wie schon erwähnt, schießen nachts plötzlich überall Verkaufsstände wie Pilze aus dem Boden. Und in vielen kleinen Gassen sieht man sogar schon tagsüber Menschen mit allerhand Plunder vor ihren Häusern sitzen, beim Versuch, Interessenten zu finden. Fernab der großen Hauptstraßen hat man stets das Gefühl, in Palermo würde tagtäglich Hofflohmarkt herrschen und tatsächlich scheint es auch eine der liebsten Freizeitaktivitäten der Palermitaner zu sein: Durch die Straßen zu schlendern, soziale Kontakte zu pflegen und über dem Trödel mit der gesprächigen Nachbarschaft Neuigkeiten aus aller Welt zu erörtern.
Doch neben den “klassischen” Flohmärkten wird in dieser Stadt auch alles mögliche an Lebensmitteln auf der Straße verkauft. Von Obst und Gemüse über Milchprodukte und Brot bis hin zu Fisch und Fleisch ist alles da, was man in der Küche gebrauchen kann. Und es herrscht eine rege Nachfrage. Tatsächlich, so wurde mir von der Gastgeberin erzählt, nutzen viele Einwohner lieber diese inoffiziellen (und faktisch illegalen) Basare in den Straßen als die großen Supermärkte. Hier kommt man noch unter Menschen, trifft bekannte, weiß, wo die Ware herkommt, und kann mit den Verkäufern über Preise verhandeln.

(Foto: Kleine, private und überwiegend illegale Verkaufsstände reihen sich in den Straßen der Stadt.)

(Foto: Selbst Lebensmittel werden auf kleinen Basaren verkauft, wobei vor allem Obst und Gemüse meistens frisch vom Bauern kommt.)

Streetfood

Passend zu bereits erwähnten Basaren und Verkaufsständen ist Streetfood ein sehr großes Thema in Palermo. Überall auf der Straße werden Lebensmittel zubereitet und verkauft und nicht selten in einem Umfeld, da würde das deutsche Gesundheitsamt nur die Hände überm Kopf zusammenschlagen. Wenn man diesen “kleinen” Aspekt aber etwas ausblendet, stellt man schnell fest, dass das sizilianische Streetfood unverschämt lecker ist! Zwar ist jede einzelne Köstlichkeit eine reine Kalorienbombe, da sie entweder zum Großteil aus Zucker bestehen oder tot-frittiert sind (was übrigens daher beliebt ist, da die Speisen bei der sommerlichen Hitze länger “frisch” bleiben), aber dennoch kann ich jedem nur wärmstens empfehlen, sich einen kleinen Ruck zu geben und das Essen vom Straßenrand zu probieren. Es lohnt sich!

(Foto: Wenn man sich zum nächtlichen Hotspot des lokalen Streetfood begibt, könnte man von der Atmosphäre her beinahe denken, man hätte eine schnelle Reise nach Südostasien zurückgelegt.)

Mafia

Viele Menschen verbinden mit Sizilien gleich die italienische Mafia, doch was zunächst wie ein albernes Klischee klingt, ist bei näherer Betrachtung gar nicht so weit hergeholt. Auf erstem Blick wirkt Palermo wie andere italienische Großstädte auch und man spürt nichts von einer Mafia, die einst mit Morden und Gräueltaten auf sich aufmerksam gemacht hat. Doch auf zweiten Blick, wenn man genauer hinschaut und sich Abends bei einem Bier auch mal mit den Einheimischen unterhält, stellt man fest, dass diese Thematik immer noch präsent und aktuell ist. Allerdings in anderer Form. Heute stellt sich das Problem, dass die italienische Mafia ihr Finger eher in die Wirtschaft steckt, Schutzgelder von den kleinen Läden erpresst und somit den lokalen Handel sehr beeinflusst.
Ich selbst bin überhaupt erst darauf aufmerksam geworden, als ein Geschäft in seinem Schaufenster mutig Stellung genommen hat, dass der Besitzer sich nicht erpressen lassen will. Ebenso gab es in einem entlegenen Winkel der Stadt einen kleinen Protestzug, in dem junge Menschen gegen die Unterdrückung der Mafia und für eine freie Zukunft protestiert haben. Diese Beobachtungen haben mich nachdenklich gestimmt und mich wiederum in meiner Ansicht bestätigt, dass man auf Reisen – egal in welchen Winkeln der Welt man unterwegs ist – sich nie von der glitzernden Fassade, die Touristen geboten wird, vereinnahmen lassen sollte, sondern dass man auch mal hinterfragt. So lernt man andere Länder erst richtig kennen – und erkennt zum Beispiel, dass die Mafia in Sizilien immer noch ein ernstzunehmendes Problem ist.

Arabische Einflüsse

Die arabischen Einflüsse auf die Stadt und die Kultur sind unverkennbar und allgegenwärtig. Sowohl in der Architektur Palermos, als auch in der Flora und in der Küche sieht und spürt man stets die orientalischen Wurzeln der Stadt. Wobei “Wurzeln” hier auch der falsche Begriff ist, da Palermo schon seit je her der Spielball in diesem niemals endenden Hin und Her zwischen morgen- und abendländischer Kultur war. Aber genau dieses Zusammenspiel macht die sizilianische Kultur aus, die letztendlich ein Zusammenschluss aus den besten Aspekten beider Parteien ist.

(Foto: Mitten in der Stadt befindet sich ein sich selbst erhaltender Palmenhain, der unter Anderem aus aus Nordafrika importierten Dattelpalmen besteht.

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